Lisa Barnard
In ihrem ersten großen Projekt seit vier Jahren beschäftigt sich die britische Künstlerin Lisa Barnard mit Wahrnehmung im Spannungsfeld zwischen menschlicher und maschineller Erfahrung. Sie thematisiert die Komplexität technologischen Fortschritts sowie die ökologischen Ressourcen, auf denen dessen Versprechen beruhen.
Barnards Recherche ist in Kalifornien angesiedelt und entfaltet eine vielschichtige, fragmentierte und nichtlineare Erzählung. Sie umfasst Fotografien, eine immersive Videoinstallation, bearbeitetes Archivmaterial, alternative Drucktechniken und KI-generierte Bildanalysen, die sich zu einem visuell dichten Gewebe zusammenfügen.
Ausgangspunkt des Projekts ist der Saltonsee im Süden Kaliforniens. Dieser war im Zweiten Weltkrieg Schauplatz militärischer Präzisionstests und ist heute zu einem Ort wirtschaftlicher Begehrlichkeiten und technologischer Heilsversprechen geworden – insbesondere durch den geplanten Abbau von Lithium. Barnards Arbeit zeigt die deutlichen Zeichen ökologischer Erschöpfung in dieser einst florierenden Gegend und thematisiert zugleich den militärischen Blick, der eng mit dem Ort und seiner komplexen Geschichte verbunden ist.
Barnard untersucht weiter, wie Technologien, die auf visuelle und akustische Signale angewiesen sind, die Interaktion zwischen Mensch und Maschine beeinflussen. Anhand der Echoortung von Fledermäusen richtet sie den Fokus auf Techniken der Objekterkennung, wie sie heute beispielsweise in autonomen Fahrzeugen allgegenwärtig sind. Ähnlich wie Menschen verlassen sich diese Systeme auf eine Vielzahl von Sensoren und Bildinformationen, um die Welt zu erfassen und sich in ihr zu orientieren. Obwohl KI-gestützte Lernprogramme wie „You Only Look Once“ eine Objekterkennung in Echtzeit ermöglichen, werden Maschinen niemals über ein echtes oder bewusstes Erleben verfügen.
Mit You Only Look Once schafft Barnard ein Bewusstsein für die Parallelen und Unterschiede zwischen menschlichem, tierischem und maschinellem Bewusstsein sowie für die Momente, in denen das Erkennen von Welt in deren aktive Gestaltung übergeht. Indem sie reflektiert, wie stark die globalen Multikrisen der Gegenwart miteinander verflochten sind, formuliert sie nicht zuletzt einen Kommentar auf die grundsätzlichen Verstrickungen maschineller „Autonomie“. In einer Zeit, in der sich die Klimakrise zuspitzt, stellt sich die Frage, wie Technologien entwickelt werden können, die nicht nur effizient, sondern auch sensibel gegenüber der Welt sind, die sie erfassen sollen.
Die Doppelausstellung wird von Katharina Täschner, Junior-Kuratorin bei C/O Berlin, kuratiert. Es erscheint jeweils eine begleitende Publikation im Verlag Hartmann Books. Nach ihrer ersten Station bei C/O Berlin werden die Ausstellungen im Frühjahr 2026 im Open Space der Crespo Foundation in Frankfurt am Main zu sehen sein.
Lisa Barnard (*1967, Vereinigtes Königreich) ist eine britische Künstlerin und Dozentin, deren fotografische Arbeit sich mit realen Ereignissen auseinandersetzt. In ihren Projekten kombiniert sie klassische dokumentarische Methoden – wie Fotografie, Audio, Video und Text – mit zeitgenössischen visuellen Strategien und digitalen Techniken. Ihr Interesse an Ästhetik und an aktuellen Debatten zur Materialität der Fotografie verbindet sie mit politischen Fragestellungen rund um neue ökologische Ansätze, technologische Entwicklungen, Wissenschaft und den militärisch-industriellen Komplex. Barnard ist außerordentliche Professorin und Leiterin des Online-Masterstudiengangs für dokumentarische Fotografie an der University of South Wales. Neben regelmäßigen Ausstellungen ihrer Arbeiten hat sie drei Monografien veröffentlicht: Chateau Despair (2012, GOST, gefördert vom Arts Council England), Hyenas of the Battlefield. Machines in the Garden (2014, GOST, unterstützt durch den Albert-Renger-Patzsch-Preis) und The Canary and the Hammer (2019, MACK, unterstützt durch den Getty Images Prestige Grant).