C/O Berlin Talent Award 2021

Adji Dieye / Emmanuel Iduma
Zwei Hände sortieren einige auf dem Tisch liegende Fotoabzüge
Culture Lost and Learned by Heart, Memory, Video (14 min), Videostill © Adji Dieye
Metallgerüst und darin hängender Siebdruck von Fotos auf Seidenstreifen
Culture Lost and Learned by Heart, Untitled, 2020, Metall und Siebdruck auf Seide, Installationsansicht (Detail), Dakar © Adji Dieye

C/O Berlin freut sich, den diesjährigen C/O Berlin Talent Award in der Kategorie Kunst an die italienisch-senegalesische Künstlerin Adji Dieye zu vergeben. Die ausgezeichnete Arbeit Culture Lost and Learned by Heart wird in einer Einzelausstellung vom 11. Dezember 2021 bis 05. März 2022 bei C/O Berlin im Amerika Haus in der Hardenbergstraße 22–24, 10623 Berlin präsentiert.

Der C/O Berlin Talent Award 2021 in der Kategorie Theorie geht an den nigerianischen Autor Emmanuel Iduma. Er wird den ersten kunsttheoretischen Essay über die Arbeit Culture Lost and Learned by Heart von Adji Dieye verfassen. Der Essay erscheint zusammen mit einem Interview mit der Künstlerin in einer monografischen Publikation bei Spector Books, die C/O Berlin anlässlich der Einzelausstellung der Künstlerin herausgibt.

Die vier Künstler:innen Leonard Suryajaya (USA), Marina Caneve (IT), Max Colson (GB) und Salma Abedin Prithi (BGD) sind für die Shortlist 2021 nominiert.

In unserem digitalen Zeitalter, in dem wir mehr Bilder produzieren und konsumieren als je zuvor in der Menschheitsgeschichte, ist das Archiv zum Klischee für die Verweigerung dieses Konsums geworden. Der C/O Berlin Talent Award 2021 nimmt sich einer jüngeren Strategie der erweiterten dokumentarischen Praxis an und zeichnet ein Projekt aus, das auf der Edition vorhandener Bilder basiert. Culture Lost and Learned by Heart der italienisch-senegalesischen Künstlerin Adji Dieye (*1991) tritt in einen kritischen Dialog mit der kolonialen Institution des Bildarchivs, das gemeinhin mit der visuellen Dokumentation von Geschichte assoziiert wird und als Torhüter historischer Wahrheit gilt. Das Projekt greift auf gefundenes Archivmaterial zurück und dekonstruiert in der Neulektüre die Hierarchien des nationalen ikonographischen Archivs von Senegal (Archives Nationales du Sénégal), in dessen Sammlungsgeschichte die französische Kolonialherrschaft eingeschrieben ist. Anhand von zusätzlichem, aktuellem Bildmaterial setzt sie sich darüber hinaus mit neuen Formen der Verdrängung und Ausgrenzung auseinander: inwieweit führt die visuelle Rahmung eines historischen Narrativs heute zur Ausübung politischer Kontrolle? Bei knapp 100 internationalen Einreichungen entschied sich die Jury eindeutig und einstimmig für Adji Dieye, da ihr bemerkenswertes und provokatives Werk die im Gewinnerprojekt des Vorjahrs begonnene Auseinandersetzung mit der Dekolonialisierung vertieft und auf ganz andere materielle Weise fortführt.

Mehrere Schwarze Menschen an einem Tisch und vor einer Magnettafel, sie arbeiten mit Bildern und Fotoabzügen.
Culture Lost and Learned by Heart, Untitled, 2020, Bild aus dem Archives Nationales du Sénégal, Iconographie
Gewinner:innen

Adji Dieye
(*1991, IT/SEN) hat New Technologies for Art an der Accademia di Belle Arti di Brera in Mailand studiert sowie einen Masterabschluss Bildende Kunst an der Zürcher Hochschule der Künste absolviert. Ihre Arbeiten waren in internationalen Gruppenausstellungen bei FOAM Amsterdam (2020), der Kunsthalle Wien (2020) sowie der Afrikanischen Fotobiennale in Bamako in Mali (2019) und dem Lagos Photofestival (2017) zu sehen. C/O Berlin wird ihre erste institutionelle Einzelausstellung präsentieren. Adji Dieye lebt zwischen Mailand, Zürich und Dakar.

Metallgerüst mit Seidenstoffen dazwischen hängend, auf Seide Siebdrucke von Fotos in Schwarz/Weiß
Culture Lost and Learned by Heart, Untitled, 2020, Metall und Siebdruck auf Seide, Installationsansicht (Detail), Dakar © Adji Dieye
Schrift auf rotem Grund: "The Spark of Documentary Photography lies in the tension between what was pictured and what is imagined in retrospect. von Iduma

Emmanuel Iduma
(*1989, NG) hat nach seinem Jura-Abschluss in Nigeria einen MFA in Art Criticism and Writing an der School of Visual Arts in New York absolviert. Neben eigenen schriftstellerischen Tätigkeiten wie dem Reisebuch A Stranger‘s Pose und Herausgeberschaften, widmet er seine Zeit kunstkritischen Texten, die in ARTNews, Art in America und dem British Journal of Photography erschienen und in Publikationen von Aperture, Artforum, The New York Review of Books und der Walther Collection publiziert worden. Für sein breites gesellschaftliches Wirken wurde Iduma 2020 als 40 under 40 Africa des Apollo International Art Magazines gelistet. Er lebt zwischen New York und Lagos.

Mit Emmanuel Iduma (*1989) kann C/O Berlin einen vielseitig wirkenden Autor und Kunstkritiker als Gewinner des C/O Berlin Talent Awards in der Kategorie Theorie auszeichnen. Idumas Themenschwerpunkte in Fotografie und Neuen Medien sowie der zeitgenössischen afrikanischen Kunst und Kolonialgeschichte bilden den idealen wissenschaftlichen Spiegel zum ausgezeichneten künstlerischen Projekt. Er konnte sich unter 26 qualifizierten internationalen Mitbewerber:innen durchsetzen. Iduma überzeugte vor allem mit seiner Fähigkeit, aktuelle (gesellschafts-)politische Themen vor ihrem historischen Kontext zu beleuchten und auf diese Weise komplexe Inhalte schlüssig und fundiert darzulegen.

Jury
Gruppenfoto der Jury 2021: Maren Lübbke-Tidow, Jan Wenzel, Azu Nwagbogu, Dr. Kathrin Schönegg, Wolfgang Tillmans an einem langen Tisch
Azu Nwagbogu, Jan Wenzel, Dr. Kathrin Schönegg, Maren Lübbke-Tidow und Wolfgang Tillmans © David von Becker

Die Expertenjury für die Kategorie Kunst, bestehend aus Azu Nwagbogu (Gründer und Direktor, LagosPhoto Festival/African Artists’ Foundation), Dr. Eva-Maria Fahrner-Tutsek (Vorstandsvorsitzende, Alexander Tutsek-Stiftung, München), Jan Wenzel (Verleger, Spector Books, Leipzig), Dr. Kathrin Schönegg (Leitung C/O Berlin

Talent Award, C/O Berlin Foundation), Maren Lübbke-Tidow (freie Autorin und Kuratorin, Berlin) und Wolfgang Tillmans (Fotograf und Künstler, Berlin), hat die diesjährige Gewinnerin und die Shortlist benannt. Die Arbeiten der Shortlist-Kandidat:innen werden in der Herbstausgabe der C/O Berlin Zeitung vorgestellt und in Kooperation mit dem Magazin Der Greif online präsentiert.

Die Expertenjury für die Kategorie Theorie, bestehend aus Nela Eggenberger (Chefredakteurin, EIKON, Wien) und Dr. Kathrin Schönegg (Leitung C/O Berlin Talent Award, C/O Berlin Foundation), hat einstimmig entschieden.

C/O Berlin Talent Award 2021 – Theorist Jury aus Nela Eggenberger und Dr. Kathrin Schönegg © C/O Berlin Foundation
Shortlist
Zwei Männer in bunter, stark gemusterter Kleidung kniend und sitzend in gemusterter, surrealer Umgebung.
Leo Exotic, a.d.S. Quarantine Blues, 2020 © Leonard Suryajaya

Leonard Suryajaya
In seinen bunten Arbeiten greift der in den USA lebende chinesisch-indonesische Künstler Leonard Suryajaya (*1988) spezifische Ästhetiken der US-amerikanischen Warenwelt auf und zitiert Fetische aus der Fitnessindustrie. Die großformatigen Tableaus seines Projekts Quarantine Blues, 2020 thematisieren auf humoristische Weise kulturelle Codes und setzen dem weltweiten Zwang zur Isolation fröhliche Settings wie knallbunten Wohnumgebungen entgegen, die der Künstler während der Pandemie in seinem privaten Umfeld realisiert hat. Die Jury hat überzeugt, dass dieser Optimismus keineswegs als ironischer Kommentar zum allgemeinen Klima der Angst zu verstehen ist, im Gegenteil: Mit seinen überdrehten Bildern arbeitet Suryajaya sehr ernsthaft an einer unverwechselbaren Bildsprache und der Vermittlung einer Grundstimmung, die nicht anders als hoffnungsfroh zu beschreiben ist.

Der Oberkörper eines Mannes starr und steif aus einer Matratze ragend. Das Zimmer vollgestellt mit Krimskrams, alles in den Farben blau gehalten. Surreale, irritierende Szene
Quarantine Blues (Everything Blue in my Apartment), a.d.S. Quarantine Blues, 2020 © Leonard Suryajaya

Marina Caneve
Das Projekt Beautiful Bridges. A migration system breaking all European Borders der italienischen Künstlerin Marina Caneve (*1988) ist zwischen dokumentarischer Fotografie und künstlerischer Forschung angesiedelt. In Form einer visuellen Spurensuche und theoretischen Auseinandersetzung untersucht die Künstlerin die ökologischen Brücken, Wege und Übergänge, die am Rande unserer Länder, Städte und Autobahnen gebaut sind, um Tieren ihre Wanderrouten durch urbanisierte Landschaften zu ermöglichen. Caneves Projekt hat die Jury als gleichermaßen ungewöhnlicher wie kritischer Kommentar zu Infrastruktur, Überwachung und Migration in der EU überzeugt.

Eine leere Autobahn die unter die Erde führt. Die Beton Brücke darüber ist bewachsen von Gras
Ohne Titel © Marina Caneve
Ein buckliger Fuchs bei Nacht, welcher durch den Blitz der Kamera hell angeleuchtet wird.
Ohne Titel © Marina Caneve
Eine virtuelle Umgebung, die Ästhetik eines Computerspiels. Eine Zeitung auf dem Boden mit COVID Schlagzeile, Kriegsschauplatz oder Baustelle, Trümmer, unfertige Wände, Rauch am Himmel
Helluva Beating, 2021 © Max Colson

Max Colson
Als Künstler mit Wurzeln in der dokumentarischen Fotografie beschäftigt sich Max Colson (*1985) in Blitz‘d Britain mit der aktuellen soziopolitischen Verfasstheit seines Heimatlandes Großbritannien. Das Projekt thematisiert die durch Brexit und Corona-Pandemie hervorgerufene Krisensituation und überblendet die nationale Gemütslage mit dem Zweiten Weltkrieg, dessen Ideologie der (nationalen) Einheit und des Zusammenhalts jüngst in der britischen Populärkultur eine Wiederkehr erfährt. Die inhaltlich mutige Auseinandersetzung hat es auch wegen ihrer medial konsequenten Fortführung der klassischen Fotografie in neue Technologien wie 3D Software und digitalen Renderings auf die Shortlist geschafft.

Eine virtuelle Umgebung in Computerspiel-Ästhetik: Mehrere Screens zeigen News-Schlagzeilen und Einträge zur Corona-Krise. Beteiligte wie Rentner, Krankenpfleger, Kinder und Menschen im Home Office
A Time of Crisis, 2021 © Max Colson

Salma Abedin Prithi
Mit Torn bearbeitet die aus Bangladesch stammende Fotografin Salma Abedin Prithi (*1985) den mentalen Zustand der Gesellschaft während der Covid-19 Pandemie. Angesichts beschränkter Arbeitsmöglichkeiten greift sie einerseits auf Nachrichtenbilder und gefundene Aufnahmen aus den in Bangladesch stark regulierten sozialen Medien zurück und inszeniert andererseits überzeichnete Gegenbilder, die nicht auf den alltäglichen Schrecken, sondern die Gemütszustände der Menschen abheben. Das Projekt überzeugte als zeitgemäße Auseinandersetzung mit dem Thema, das das neben Inzidenzwerten und Impfkampanien vernachlässigte Moment der psychischen Verfasstheit der Menschen in den Vordergrund stellt.

Zwei in weißer Schutzkleidung vermummte Personen, die scheinbar schwerelos durch ein weißes Nichts schweben
Ohne Titel, a.d.S. Torn, 2020 © Salma Abedin Prithi
Ohne Titel, a.d.S. Torn, 2020 © Salma Abedin Prithi
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