C/O Berlin Talent Award 2024
C/O Berlin freut sich, den C/O Berlin Talent Award 2024 in der Kategorie Artist an die Künstlerin Silvia Rosi (*1992, IT) zu vergeben. Die ausgezeichnete Arbeit Protektorat wird in einer Einzelausstellung vom 1. Feb – 14. Mai 2025 bei C/O Berlin im Amerika Haus in der Hardenbergstraße 22–24, 10623 Berlin präsentiert. Auf der Shortlist 2024 stehen die Künstler:innen Salih Basheer (*1995, SDN), Hiền Hoàng (*1990, VNM), Sheida Soleimani (*1990, USA) und Yao Yuan (*1988, CHN).
Der C/O Berlin Talent Award 2024 in der Kategorie Theorist geht an die Kuratorin und Autorin Katrin Bauer (*1992, DE), die den ersten kunsttheoretischen Essay über das Gewinnerinnen-Projekt verfassen wird. Der Essay wird zusammen mit einem Interview mit Silvia Rosi in einer monografischen Publikation bei Spector Books erscheinen, die C/O Berlin anlässlich der Einzelausstellung der Künstlerin herausgibt.
In Protektorat setzt sich die italienische Künstlerin Silvia Rosi mit ihren togolesischen Wurzeln auseinander und beleuchtet Kommunikations- und Zeichensysteme in kolonialen und hegemonialen Machtstrukturen. Ausgehend von Archivmaterial des Nationalarchivs von Togo macht sie auf die flächendeckende Verbreitung westlicher Systeme während der kolonialen Besetzung Togos seitens des Deutschen Reiches sowie britischen und französischen Streitkräften aufmerksam. Der Akt des Erzählens findet in Protektorat über multiple Bildformen und Sinnes-ebenen statt: In Stand- und Bewegtbildern mit Ton können wir sehen und hören, wie lokale Sprache, Traditionen und Bildkultur während der Kolonialherrschaft überschrieben oder unterdrückt wurden. Protagonistin der Arbeiten ist immer Rosi selbst, womit sie wirkungsvoll ihre persönliche Erfahrung in der kollektiven Erzählung einbettet. Silvia Rosi überzeugte die gesamte Jury mit dem komplexen Ansatz ihres Projektes, der 'das Dokumentarische' von Fotografie im postkolonialen Diskurs über unterschiedliche und innovative Zugänge zur Diskussion stellt.
Silvia Rosi (*1992, IT) ist eine in Lomé (Togo) und London (Vereinigtes Königreich) lebende Künstlerin. In ihrer Praxis nutzt sie Fotografie und bewegte Bilder, um den Raum der Erinnerung, der mündlichen Geschichte und der (Selbst-)Darstellung zu erkunden. Sie erhielt 2016 einen B.A. in Fotografie von LCC, University of the Arts London. Sie wurde in internationalen Institutionen wie der Collezione Maramotti, dem Brooklyn Museum (2024), Camera – Italian Center for Photography (2023), MAXXI (2022), MA*GA (2022), LACMA (2021), Les Rencontres d‘Arles (2021), Autograph ABP (2021) und in der National Portrait Gallery in London (2020) ausgestellt.
Katrin Bauers Forschungspraxis zeichnet sich durch eine fundierte Auseinandersetzung mit postkolonialen Themen aus. Einen Schwerpunkt bilden die kolonialen Machtstrukturen in der Fotografie, weshalb sie die diesjährige Artist-Position hervorragend komplementiert. Zudem zeigt sie ein breites Verständnis für verschiedene mediale Praktiken und Bildformen des Fotografischen. Bauer überzeugte durch ihre Fähigkeit, künstlerische Arbeiten in ihren komplexen gesellschaftlichen, politischen und ästhetischen Zusammenhängen zu verorten und anschaulich zu vermitteln.
Katrin Bauer (*1992, DE) lebt und arbeitet als Kuratorin und Autorin in München. Ihre Forschungsschwerpunkte bewegen sich an der Schnittstelle von Theorien der Fotografie und dekolonialen Strategien innerhalb zeitgenössischer Kunstproduktionen. Zuletzt arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sammlung für Fotografie und Zeitbasierte Medien an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Zuvor war sie als Assistenzkuratorin am Fotomuseum Winterthur tätig. Sie hat Fotografie und Design in Freiburg sowie Art Education und Curatorial Studies an der Zürcher Hochschule der Künste studiert.
Die Jury für die Kategorie Artist, bestehend aus Veronika Epple (Junior-Kuratorin, C/O Berlin Foundation), Sophia Greiff (Co-Programmleitung/Kuratorin, C/O Berlin Foundation), Alexander Hagmann (Gründer & Herausgeber, dieMotive), Renée Mussai (Freie Kuratorin), Andrzej Steinbach (Fotograf) und Tanzim Wahab (Kurator, Spore Initiative), hat die diesjährige Gewinnerin und die Shortlist benannt. Mehr als 70 aufstrebende Künstler:innen, die im Vorfeld nominiert wurden, haben ihre Arbeiten eingereicht. Die Shortlist-Kandidat:innen werden in Kooperation mit dem Magazin Der Greif online präsentiert.
Die Jury für die Kategorie Theorist, bestehend aus Veronika Epple (Junior-Kuratorin, C/O Berlin Foundation), Sophia Greiff (Co-Programmleitung/ Kuratorin, C/O Berlin Foundation) und Doris Gassert (Forschungskuratorin, Fotomuseum Winterthur), hat aus einer Vielzahl internationaler Einreichungen, die sich über einen Open Call beworben haben, einstimmig entschieden.
Salih Basheers (*1995, SDN) Arbeit Blue: Children of January knüpft an seine fotografische Praxis an und erweitert sie um weiteres Bildmaterial. Am 3. Juni 2019 eskalierte die politische Krise im Sudan, als regierungstreue Sicherheitskräfte das Protestcamp vor dem Armeehauptquartier in Khartum gewaltsam räumten. Dies führte zu zahlreichen Toten und Verletzten unter den Demonstrierenden. Basheer kombiniert dokumentarische Aufnahmen des Protests mit mehrdeutigen Bildern von fotografierten Bildschirmen, Dokumenten und scheinbar falsch belichteten Motiven, die nicht den Anspruch erheben, den bis heute andauernden Konflikt in wenigen Bildern zu erklären oder greifbar zu machen, sondern vielmehr einen Weg zu finden, die Wahrnehmung von Eindeutigkeit und Komplexität mit Hilfe der Fotografie neu zu justieren. – Andrzej Steinbach
Der starke Duft des wertvollen Agarholzes soll die Seele heilen und die Menschheit den Göttlichkeiten etwas näherkommen lassen: Scent of Heaven von Hiền Hoàng (*1990, VNM) ist ein Projekt, das auf multiperspektivische Art und Weise die Mystik des ›heiligen Holzes‹ beleuchtet. Hoang arbeitet medienübergreifend, mit Fotografie und Performance, aber auch mit anderen Bild-, Wahrnehmungs- und Dokumenta-tionsformen wie Virtual Reality oder CT-Scans. Im Auge der Jury gelingt es ihr mit diesem Konzept erfolgreich, traditionelle dokumentarische Strategien sowie Wirkungsräume des fotografischen Bildes zu hinterfragen und neue Möglichkeiten des Dokumentarischen vorzustellen. – Veronika Epple und Sophia Greiff
In Ghostwriting visualisiert Sheida Soleimani (*1990, USA) die Flucht- und Migrationsgeschichte ihrer Eltern aus dem Iran. Dabei übersetzt sie die aus mündlichen Überlieferungen entnommenen Erinnerungen ihrer Eltern in fotografische Bilder. Die farbenfrohen, arrangierten Fotografien—geprägt von wiederkehrenden, symbolisch aufgeladenen Motiven—erzählen von Rückschlägen und Hindernissen, die Soleimanis Eltern auf ihrer Flucht überwinden mussten. Das Projekt ist der Versuch, ein Stückchen undokumentierter Familiengeschichte festzuhalten. Darüber hinaus nimmt Ghostwriting aber auch wichtige Fragen von Autor:innenschaft und Erinnerungskultur in den Blick und präsentiert ein eigenwilliges fotografisches Genre, das vergängliche Erinnerungen im dokumentarischen Bild neu inszeniert. – Veronika Epple und Sophia Greiff
Mit der Arbeit 1 2 3 2 1 schafft Yao Yuan (*1988, CHN) etwas ganz Besonderes und Einzigartiges: Die Mischung aus möglicher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft trifft auf ein ganz besonderes Gefühl zwischen Melancholie und Sachlichkeit. Die Arbeit, angelegt als 304-seitiger Fotoroman, bewegt sich inhaltlich zwischen dem Beginn der Schwangerschaft von Yuans Freundin Nagakura Nami, der Geburt ihres ersten Kindes und der Lebensrealität von Yao Yuan selbst. Die schönen, fast warmherzigen Kombinationen von unscharfen, melancholischen Porträts und scharfen, gezielten Blicken sind ein untrüglicher Beweis dafür, wie sehr Fotografien nicht nur Bedeutungen in sich tragen, sondern auch schaffen können. Weltschöpfung und Visionen am Beispiel menschlicher Existenz. Dafür gebührt Yuan allerhöchstes Lob. – Alexander Hagmann