Bourgeoisie, Swing und Molotow-Cocktails
Millionen Berliner informierten sich in seiner Bibliothek und bei Filmvorführungen. Robert Kennedy, Richard Nixon und Willy Brandt kamen zu Besuch. Es wurde mit Eiern und Molotow-Cocktails beworfen und mit Stacheldraht gesichert. Lyonel Feininger, Robert Rauschenberg, Gordon Parks stellten hier ihre Werke aus – das Berliner Amerika Haus ist weit mehr als ein architektonisches Kleinod aus den 1950er Jahren.
An diesem Gebäude und seiner unmittelbaren Umgebung spiegelt sich die wechselvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts wider. Bis 1945 beherbergte das Gelände an der Hardenbergstraße einen preußischen Offiziersclub, eine wilde Amüsiermeile und düstere Ausstellungen mit nationalsozialistischer Kunst. Nach dem 2. Weltkrieg stand das lichte, filigrane Amerika Haus 50 Jahre lang im Brennpunkt kultureller und politischer Diskussionen und internationaler Kontroversen zwischen friedlicher Re-Education, westlicher Propaganda und heftigem Anti-Amerikanismus. In der Ausstellung mit historischen Fotografien dokumentiert C/O Berlin erstmals den Ort und seine Umgebung im rasanten Wandel der letzten 150 Jahre – eine lokale Urbanisierung, die jedoch symbolhaft für ganz Berlin steht.
Zuerst kommen die Tiere – 1844 wird am Rand des Tiergartens der Zoologische Garten eröffnet, der zunächst bis an die Hardenbergstraße heranreicht. In den 1870er Jahren beginnt der Bau der Stadtbahn, 1884 wird der Bahnhof Zoo eröffnet. Damit wird die Gegend nachhaltig für verschiedenste, neue Nutzergruppen attraktiv. Auf dem Grundstück des späteren Amerika Hauses baut sich ein Maurermeister und Spekulant eine barocke Villa. Zudem werten bürgerliche Vergnügungen die Gegend auf – Reithalle, Themen-Ausstellung, Triumphbogen, Panoramabilder und Westeisbahn. 1899 kommt die moderne Kunst nach Charlottenburg. Die „Berliner Secession“ um Max Liebermann, Max Slevogt und Lovis Corinth zieht in ein Gebäude neben dem heutigen Theater des Westens.
Nach dem 1. Weltkrieg wird die Villa an einen Offiziersverein verkauft. Die Hardenbergstraße bleibt keine reine Wohnstraße – sie wird belebter und großstädtischer. Dem Vergnügen, Ausgehen und Nachtleben gehört die Zukunft. Aus dem Haus des Offiziersvereins wird 1926 per Umbenennung das Kabarett und Tanzlokal „Villa d’Este“. Wo später das Amerika Haus steht, schwingen in den goldenen Zwanzigern die Berliner das Tanzbein. Nazikunst statt Swingmusik in den 1940er Jahren – im Garten der Villa d’Este wird die „Berliner Kunsthalle“ gebaut. Hier finden bis 1943 mindestens zehn Ausstellungen mit nationalsozialistischer Kunst statt – Fotografie aus Mussolinis Italien, kroatische Fotokunst und großformatige Porträts von politischen Größen des Dritten Reiches, aufgenommen von Hitlers persönlichem Fotografen Walter Frentz.
Am Ende des Krieges wird die Villa d’Este mitsamt der Kunsthalle zerstört. Anfang der 1950er Jahre diskutieren die US-Alliierten, hier das Amerika Haus anzusiedeln – bewusst als Gegenpol zur nationalsozialistischen Vergangenheit dieses Ortes. Zunächst soll es Walter Gropius entwerfen; dieser sagt jedoch wegen finanzieller Differenzen ab. So erhält der Berliner Architekt Bruno Grimmek den Auftrag, der schon das Marshall-Haus an der Messe gebaut hat. Das Amerika Haus beherbergt seit 1957 eine Bibliothek mit Schwerpunkt auf amerikanischer Literatur und Magazinen, und bietet ein umfangreiches Kulturprogramm mit Filmen, Theateraufführungen, Englisch-Kursen und Konzerten. Anfangs ist es ein Ort der Re-Education der Deutschen, zur Zeit des Mauerbaus antikommunistische Propagandaeinrichtung, seit den 1970er Jahren zunehmend gewöhnliches, landeskundlich orientiertes Kulturzentrum.
Ende der 1950er Jahre kommt das Amerika Haus verstärkt in die Öffentlichkeit, denn hier beginnen die Proteste gegen den „amerikanischen Imperialismus“ mit Demonstrationen der FDJ. Die erste Anti-Vietnamkrieg-Demo steuert 1966 gezielt das Gebäude an. Zum ersten Mal fliegen Eier auf die Fassade – bei späteren Demos werden daraus Steine und Wurfbrandsätze. Auf die Studentendemos folgen Entschuldigungsbriefe vom Rektor der Freien Universität an die Amerikaner und Gegendemonstrationen der CDU. Im Zuge der antiamerikanischen Proteste seit den 1960er Jahren und nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verschließt sich das Amerika Haus zunehmend zu einer Festung. US-amerikanische Institutionen verstärken ihre Sicherheit soweit, dass nur noch geladene Gäste das Amerika Haus besuchen können – hinter hohen Zäunen, mit Rollgittern vor den Fenstern und Sicherheitsschleusen. Spätestens mit der Eröffnung der neuen amerikanischen Botschaft am Brandenburger Tor und der Übereignung der Immobilie an das Land Berlin im Jahr 2006 fällt das Amerika Haus in einen Dornröschenschlaf.
Die Ausstellung umfasst ca. 120 historische und zeitgenössische Fotografien. Sie wurde von C/O Berlin initiiert und von Dr. Hans Georg Hiller von Gaertringen kuratiert.