Kreuzberg – Amerika
C/O Berlin präsentiert vom 10. Dezember 2016 bis 12. Februar 2017 die Ausstellung Kreuzberg – Amerika. Die Ausstellung ist Teil des Projektes über die Werkstatt für Photographie 1976–1986, mit dem C/O Berlin, das Museum Folkwang Essen und das Sprengel Museum Hannover die Geschichte, Einflüsse und Auswirkungen der legendären Berliner Fotografie-Institution und ihrer Akteure erstmals und in einer städteübergreifenden Kooperation präsentieren.
„Wir bemühen uns, dem Schüler zu helfen, seine Persönlichkeit zu erkennen beziehungsweise zu finden, wobei zwangsläufig die Fotografie hinsichtlich ihrer kommerziellen Verwertbarkeit unerheblich wird.“ Michael Schmidt, 1979
Ab Mitte der 1970er Jahre findet in Deutschland ein unvergleichlicher Aufbruch in der Fotografie statt. Eine jüngere Generation baut in kürzester Zeit in verschiedenen Initiativen eine neue Infrastruktur für einen anderen Blick auf die Fotografie auf und definiert das Medium bewusst als eigenständige Kunstform – bis heute. Die von Michael Schmidt 1976 in Berlin gegründete Werkstatt für Photographie ist eines dieser innovativen Modelle und als Institution einzigartig, denn sie ermöglicht eine offen zugängliche Kulturproduktion und intensiviert die Erwachsenenbildung jenseits akademischer Hürden und ohne Zugangsbeschränkungen. Aus dem unkonventionellen Dialog zwischen anerkannten Fotografen und Amateuren, zwischen technischer Vermittlung und inhaltlicher Kritik sowie auf der Basis dokumentarischer Ansätze entsteht eine spezielle künstlerische Haltung. Ihr spezifischer Zugang zur Wirklichkeit wird über lange Zeit stilprägend. Die Werkstatt für Photographie erlangt mit engagierter Vermittlungsarbeit durch Ausstellungen, Workshops und Kurse internationales Niveau und etabliert sich zu einem wichtigen Ort des transatlantischen fotografischen Dialogs zwischen Kreuzberg, Deutschland und Amerika. Eine einzigartige Pionierleistung!
Am Anfang der Werkstatt für Photographie dominiert eine streng dokumentarische Sehweise, die sich an der damaligen sachlichen Ästhetik des Werks von Michael Schmidt ausrichtet und sich in einer radikalen Verweigerung gängiger fotografischer Normen auf eine schonungslose Darstellung des Alltags und der Wirklichkeit konzentriert. Später experimentieren er und die junge Fotografenszene mit neuen Formen des Dokumentarischen, die die subjektive Sicht des Autors betonen. Sie entdecken die Farbe als künstlerische Ausdrucksweise und entwickeln eine eigenständige, künstlerische Autorenschaft mit meist unkonventionellen Perspektiven.
Die Werkstatt für Photographie bietet jedem Interessierten einen Freiraum zur Entfaltung seiner künstlerischen Talente. Neben ihrem offenen, internationalen und verbindenden Charakter ist sie auch ein erfolgreiches und zugleich von Paradoxien gekennzeichnetes Modell der Selbstermächtigung. Denn die eigentlich im Lokalen verortete Volkshochschule entwickelt sich schnell zu einem lebendigen internationalen Netzwerk zeitgenössischer Fotografie. Die Kursteilnehmer sind keine Fotografen, sondern Autodidakten und haben so ein freieres Verständnis des Mediums als ihre Berufskollegen. Zudem hat die Mehrzahl der Dozenten keine pädagogische Ausbildung, jedoch sind alle im Rahmen der Erwachsenenbildung tätig. Auch gibt es zu dieser Zeit noch keine Kuratoren für Fotografie in Deutschland, aber die Organisatoren der Werkstatt für Photographie richten bereits eigenständig Ausstellungen mit unbekannten und renommierten Fotografen im Wechsel aus.
C/O Berlin arbeitet in der Ausstellung „Kreuzberg – Amerika“ die Geschichte der Werkstatt für Photographie auf. In der von Thomas Weski und Felix Hoffmann kuratierten Ausstellung werden ca. 250 Exponate gezeigt, darunter Arbeiten von international renommierten Fotografen, die in der Werkstatt ausgestellt haben: Robert Adams, Diane Arbus, Lewis Baltz, Larry Clark, William Eggleston, Larry Fink, John Gossage und Stephen Shore. Diese Auswahl wird in einen Dialog gesetzt mit Bildern von Fotografen, Dozenten und Gästen der Werkstatt wie Gosbert Adler, Friedhelm Denkeler, Wolfgang Eilmes, Thomas Florschütz, Ulrich Görlich, Ursula Kelm, Wilmar Koenig, Thomas Leuner, Christa Mayer, Eva Maria Ocherbauer, Hildegard Ochse, Gundula Schulze Eldowy, Michael Schmidt, Hermann Stamm, Klaus-Peter Voutta, Manfred Willmann und Ulrich Wüst.
Anlässlich des 40jährigen Jubiläums der Werkstatt für Photographie präsentieren C/O Berlin, das Museum Folkwang Essen sowie das Sprengel Museum Hannover ein gemeinsames Projekt mit drei Ausstellungen, das erstmals den Werdegang dieser Institution und ihrer Akteure beschreibt. Darüber hinaus skizzieren die drei Stationen die Situation eines Mediums im Aufbruch, welches – ermutigt durch das Selbstbewusstsein der amerikanischen Fotografie – auf die eigenständige, künstlerische Autorenschaft setzt. Die Ausstellungen entwerfen ein lebendiges, multiperspektivisches Bild der Fotografie der 1970er und 1980er Jahre, das die Geschichte der westdeutschen Fotografie jener Zeit um ein weiteres Kapitel neben der Düsseldorfer Schule ergänzt.
Zum gemeinsamen Ausstellungsprojekt erscheint in der Verlagsbuchhandlung Walther König die gemeinsame Publikation „Werkstatt für Photographie 1976–1986“.
> Mehr erfahren über die Stiftung für Fotografie und Medienkunst mit Archiv Michael Schmidt
Teil 1: Wie alles begann...
Teil 2: Die Amerikaner
Teil 3 . Essen
Teil 4 . Michael Schmidt
Teil 5 . Hannover