Love, Ren Hang
Pechschwarze Haare, Porzellanhaut, knallrote Lippen und Fingernägel, tiefe Blicke direkt in die Kamera, akrobatische Posen von jungen Männern und Frauen mit skurrilen Requisiten, Tiere und Pflanzen im grellen Blitzlicht, eingebettet in urbanen Landschaften, privaten Räumen oder in der Natur zwischen Reisfeldern, Lotusteichen und Kakteen – die Bilder des chinesischen Künstlers Ren Hang sind schmerzvoll provokant, aber auch introvertiert und träumerisch surreal. Seine genderqueeren Kompositionen sind explizit erotisch, jedoch nie pornografisch. In oft extrem eigenwilligen Arrangements und Perspektiven wird der menschliche Körper zur abstrakten Form gestaltet, wobei immer wieder bekannte Motive und Traditionen aus der westlichen Kunst- und Fotogeschichte zitiert und gleichzeitig überschrieben werden.
Bildikonen von William Shakespeares sterbender Ophelia im Blumenteich, Darstellungen der griechischen Königstochter Leda mit dem Schwan oder Rückenakte weiblicher Figuren kombiniert Ren Hang mit einem unverkennbaren Bildvokabular aus Abstraktion, Surrealismus, Dada sowie historischer und zeitgenössischer Fotografie. Gleichwohl ist ein von der ostasiatischen Philosophie geprägtes künstlerisches Verständnis erkennbar, das im Gegensatz zur Kunst des Abendlandes nicht um Originalität bemüht ist. Vielmehr führt es eine Schultradition fort und strebt nach Zeitlosigkeit; die Fragen nach Autorenschaft, Original und Kopie stellen sich für viele Künstler*innen in China erst in Gegenüberstellung zum westlichen Kunstbegriff. Daraus speist sich ein neuer Diskurs um Formen und Strukturen eines kollektiven und globalen Bildgedächtnisses.
Ren Hangs analoge Fotografien erzählen dabei in einer humorvoll-verspielten Bildsprache von Gefühlen, Sehnsüchten, Ängsten und von der Einsamkeit einer jungen Generation in China. Sie stehen symbolhaft für deren Rebellion gegen die Konventionen eines restriktiven kommunistischen Regimes, in dem Nacktheit sowie sexuelle Freiheit bis heute unter staatlicher Zensur und Kontrolle stehen. Die dargestellten Menschen sind meist Freund*innen des Künstlers, bleiben aber unbenannt und stets anonym. Die Bilder tragen weder Titel noch Ort oder Datum. Sie sind sorgfältig inszeniert, gleichwohl ist ihnen auch das Momenthafte inhärent, das oft der schnellen Arbeitsweise des Künstlers entspringt. Ren Hangs Fotografien sind eine seltene Ode an den Menschen, seinen Körper, seine Sexualität, Schönheit und Verletzlichkeit.
C/O Berlin zeigt mit der Ausstellung Love, Ren Hang erstmals in Deutschland eine umfassende Retrospektive mit über 150 Arbeiten aus dem jungen Werk von Ren Hang, der zu den wichtigsten zeitgenössischen Fotografen in China zählt.
Ren Hang
(geboren 1987 in Chang Chung, gestorben 2017 in Peking, China) war Fotograf und Lyriker. 2010 erhielt er den Third Annual Prize for Contemporary Art. Seine Arbeiten wurden bisher in China und Europa ausgestellt, u.a. im Foam – Fotografiemuseum Amsterdam, im MdbK in Leipzig, in der Ostlicht – Galerie für Fotografie in Wien (2017) und im Maison Européenne de la Photographie in Paris (2019). Er publizierte zahlreiche Fotobücher und veröffentlichte seine Arbeiten auf seiner Website, über Facebook, Instagram sowie Flickr. Sein Werk findet posthum eine stetig wachsende Anhängerschaft und erfährt weltweit eine immense Popularität. Hang lebte und arbeitete bis zu seinem Freitod im Alter von 29 Jahren in Peking.