Songs of the Sky
„For centuries, we’ve looked to the sky to divine the future. Today, we look to the Cloud.” – James Bridle
Dutzende von Wolkengesichter blicken von der Ausstellungswand auf uns herab. Manche scheinen zu lächeln, andere erinnern uns an Menschen aus unserem Umfeld oder sogar an Fabelwesen. Das koreanische Künstlerduo Shinseungback Kimyonghun – bestehend aus Shin Seung Back und Kim Yong Hun – hat diese menschenähnlichen Wolkenformationen 2012 in der Serie Cloud Face zusammengestellt. Jedoch waren es nicht die Künstler selbst, die in den Wolken etwas zu sehen glaubten. Vielmehr haben Algorithmen einer Gesichtserkennungssoftware jedes Mal, wenn sie Figuren im Himmel lokalisierten, eine Fotokamera ausgelöst. Ein Wolkenhimmel – einst Ort für menschliche Vorstellungskraft und Erkenntnisgewinn – offenbart uns das Unvermögen der maschinellen, künstlichen Intelligenz.
Bereits 1922 richtete der berühmte US-amerikanische Fotograf Alfred Stieglitz seine Kamera das erste Mal gen Himmel, „to find out what I had learned in 40 years about photography“. Seine Serie von Wolkenaufnahmen, die er zunächst Songs of the Sky nannte, bevor sie als Equivalents berühmt wurde, führte das an der Abbildung der Wirklichkeit klebende Medium Fotografie in die Abstraktion. Ein Jahrhundert später greift die Themenausstellung Songs of the Sky. Photography & the Cloud den ursprünglichen Titel dieser Serie auf, um den aktuellen Umbruch der Fotografie durch die Digitalisierung und ihre Folgen zu diskutieren. Über Fotografie nachzudenken heißt heute, über die Infrastruktur nachzudenken, die sie vernetzt und organisiert. Egal ob maschinell erzeugte Bilder von Überwachungskameras oder Satelliten, digitalisiertes Archivbildmaterial oder die privaten Urlaubsaufnahmen auf unseren Smartphones und Laptops – sie alle sind heutzutage als digitale Daten in der Cloud gespeichert, jenem Ort, an dem künstliche Intelligenzen operieren.
Und so wie vor 100 Jahren die Wolken als Boten der Zukunft den Beginn der Abstraktion in der Fotografie einläuteten, spiegelt die künstlerische Auseinandersetzung mit der Cloud heute die Zukunftsvisionen des 21. Jahrhunderts. Im Dialog von fotohistorischen und zeitgenössischen Arbeiten der Wolkenfotografie reflektiert die Ausstellung Songs of the Sky. Photography & the Cloud die Auswirkungen der Cloud-Computing-Technologie auf den Klimawandel und die Geopolitik.
Welche Geschichten kann uns die Fotografie über die „Seele des Himmels“ (Etienne Pitois) im digitalen Zeitalter erzählen? Werden kommerziell agierende Unternehmen, die durch die Auswertung und Nutzung unserer Cloud-Daten ihre Gewinne maximieren, dem Himmel alle Wolken abkaufen? Oder wird die technische Cloud mit ihrem enormen CO2-Fußabdruck die Erderwärmung so vorantreiben, dass wir in Zukunft nur noch selten vielgestaltige Wolkenwesen über den Globus wandern sehen? Songs of the Sky. Photography & the Cloud wurde von Dr. Kathrin Schönegg kuratiert. Die Ausstellung wird begleitet von einer beim Spector Verlag, Leipzig, erscheinenden Publikation.
Exponate von: Claudia Angelmaier, Sylvia Ballhause, Marie Clerel, Raphaël Dallaporta, Fragmentin, Noémie Goudal, Louis Henderson, Internationales Meteorologisches Komitee, Noa Jansma, Stefan Karrer, Almut Linde, NASA, Observatoire de Juvisy, Lisa Oppenheim, Trevor Paglen, Meghann Riepenhoff, Simon Roberts, Evan Roth, Mario Santamaría, Adrian Sauer, Andy Sewell, Shinseungback Kimyonghun, Louis Vignes & Charles Nègre
Die Textarbeit „Unter, in und über Wolken“ von Adrian Sauer versammelt eigene Gedanken und recherchiertes Material zum Thema der Cloud. Das Glossar begleitet die Themen der Ausstellung und verhandelt den Einfluss des Wetters auf die Fotografie ebenso wie das menschengemachte Klima und die technische Cloud. In der Zusammenschau ergeben die 30 Kommentare über Fototechnik, Wetter und Computer ein Panorama des flüchtigen Phänomens der Wolke.
Die Ausstellung "Songs of the Sky . Photography & the Cloud" wurde vom 4. Jul – 25. Sep 2022 auf dem renommierten Fotofestival Les Rencontres d’Arles in Südfrankreich gezeigt.