Zweiunddreißig Kilo
Die fragile Leichtigkeit der porträtierten Fotomodelle wirkt in ihren künstlichen, unnatürlichen Posen verstörend und beunruhigend. Rücklings auf allen Vieren auf den Boden gestützt, im Ausfallschritt um die eigene Achse gedreht erscheinen die Präsentationsweisen von Körper und Mode eher wie schmerzhafte Verrenkungen. Arme und Beine scheinen übernatürlich lang und dünn, in einigen Posen erschreckend zerbrechlich. Knochen und Gelenke treten sichtbar hervor. Die jungen Frauen tragen weiße Satinunterkleider, Korsetts, Seidenstrümpfe und medizinische Bandagen, die sich so um Arme und Oberkörper legen, dass eine Bewegung unmöglich scheint. Sie umspannen Brust und Hals auf eine Weise, die ein freies Atmen erschweren. Wofür wird mit diesen Fotografien geworben? Was präsentieren die ausgemergelten Körper eigentlich?
Die Pose in der fotografische Serie „Zweiunddreißig Kilo“ von Ivonne Thein ist ein Balance–Akt. Sie thematisiert das krankhafte Streben junger Mädchen und Frauen nach extremer Schlankheit. Hintergrund ist das stark verbreitete Phänomen der bereits Mitte der 1990er Jahre entstandenen Internetbewegung Pro Ana, die Magersucht (Anorexia nervosa) zu einer neuen, positiven Lebenseinstellung für junge Mädchen erhebt. Gleichzeitig stellt Ivonne Thein die Rolle der Fotografie zur Disposition. Denn bei Pro Ana ist dieses Medium einerseits ein beweisendes Dokument, andererseits ein bewusst inszeniertes Image. Die Fotografie nimmt eine Schlüsselrolle ein, die die extremen Körperbilder und Weiblichkeitsideale erst konstituiert – mit einem direkten Link zu den Entwicklungen im Internet. Denn das Phänomen der Pro–Ana–Websites ist ein Kind der Gegenwart, in der die Individualität durch eine totalitäre Typologie der Bilder ersetzt wird.