Daido Moriyama

Retrospective
13. Mai 2023 – 6. Sep 2023
'Stray Dog', Misawa, 1971, from 'A Hunter' © Daido Moriyama/ Daido Moriyama Photo Foundation
© C/O Berlin Foundation . David von Becker

Herausfordernd und mürrisch blickt uns ein Hund mit zugewandtem Körper und gesenktem Kopf an. Man hört förmlich das Knurren und Hecheln. Während ein Teil seines struppigen Fells von Sonnenstrahlen hell erleuchtet ist, verschwindet seine Schnauze im Schatten. Ob dieser Straßenköter eine Ahnung davon hat, dass dieses Schwarzweißbild von ihm zu einer Bildikone werden wird?

Daido Moriyama (*1938, Osaka) hat im Laufe seiner 60-jährigen Karriere die Art und Weise, wie wir Fotografie sehen, maßgeblich verändert. Mit seiner Kamera hat er nicht nur seine direkte Umgebung dokumentiert und eine künstlerische Gesellschaftsanalyse des Nachkriegsjapans geschaffen, sondern auch das fotografische Medium selbst befragt.

Seine unverkennbare Bildsprache ist ebenso legendär wie seine zahlreichen Publikationen, die in seinem Werk einen zentralen Stellenwert einnehmen. Daher präsentiert die Retrospektive bei C/O Berlin neben rund 250 Arbeiten und raumgreifenden Bildinstallationen auch Dutzende noch nie zuvor ausgestellter Fotobücher und Magazine von einem der originellsten und einflussreichsten Künstler:innen und Straßenfotograf:innen der Gegenwart.

© C/O Berlin Foundation . David von Becker
© C/O Berlin Foundation . David von Becker

Massenmedien und Werbung, gesellschaftliche Tabus oder schlichtweg die Theatralität des Alltags – Daido Moriyamas fotografische Themen haben Betrachter:innen seit jeher in ihren Bann gezogen. Pointiert hat er das Aufeinanderprallen von japanischer Tradition und beschleunigter Verwestlichung in Folge der amerikanischen Militärbesetzung Japans nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kommentiert.

Inspiriert durch US-amerikanische Künstler wie Andy Warhol und William Klein sezierte er die aufkommende japanische Konsumgesellschaft mit Messerschärfe und thematisierte darüber hinaus die Reproduzierbarkeit von Bildern, ihre Verbreitung und ihren Konsum.
Immer wieder hat Moriyama auch sein eigenes Bildarchiv in neue Zusammenhänge gesetzt und mit Vergrößerungen, Fragmentierungen und Bildauflösungen experimentiert. Bis heute gelten sein künstlerischer Pioniergeist und die visuelle Intensität als wegweisend.

Unterteilt in zwei Schaffensphasen präsentiert die Retrospektive zuerst seine frühen Serien für japanische Zeitschriften wie Camera Mainichi und Asahi Camera, die Auseinandersetzung mit fotografischem Realismus, seine Experimente im Provoke-Magazin oder seine Jahre auf Reisen. Diese avantgardistischen Arbeiten etablierten seine einzigartige Ästhetik: unscharfe und körnige Schwarzweißfotografien mit ungewöhnlichen Bildbeschnitten, die unter der Maxime „are, bure, boke“ (körnig, verwackelt, aus dem Fokus) stilprägend für eine ganze Generation wurden.

Der zweite Ausstellungsteil setzt nach einer kreativen Schaffenskrise Moriyamas von fast 10 Jahren an: seit den 1980er Jahren erforscht er das Wesen der Fotografie und sich selbst, indem er eine visuell-lyrische Reflexion über Realität, Erinnerung und Städte entwickelte, die durch ihre konzeptuelle Tiefe überzeugt.

© C/O Berlin Foundation . David von Becker
© C/O Berlin Foundation . David von Becker

Daido Moriyama . Retrospective basiert auf einer dreijährigen Recherche und ist somit eine der umfangreichsten Ausstellungen zu dem Werk des japanischen Fotokünstlers, die je zusammengestellt wurde. Sie wird vom Instituto Moreira Salles in Zusammenarbeit mit der Daido Moriyama Photo Foundation organisiert. C/O Berlin zeigt sie als zweite Institution weltweit und erste Station in Europa. Kuratiert von Thyago Nogueira, Instituto Moreira Salles, in Zusammenarbeit mit Sophia Greiff, C/O Berlin Foundation. Eine ausstellungsbegleitende Monographie erscheint im Prestel Verlag.

Biografie

Daido Moriyama wurde 1938 in Ikeda in Osaka geboren. 1961 zog er nach Tokio, wo er als freiberuflicher Fotograf für verschiedene japanische Zeitschriften, wie Asahi Camera, Camera Mainichi und später Shashin Jidai tätig war. 1969 wurde Moriyama Teil des einflussreichen Magazins Provoke. In den folgenden Jahrzehnten veröffentlichte er mehr als 100 Bücher, darunter das viel beachtete A Hunter (1972), das experimentelle Farewell Photography (1972), das selbstreflexive Light and Shadow (1982) und Monografien, die besonderen Orten wie Shinjuku (2002) und Hokkaido (2008) gewidmet sind. Mit seiner Retrospektive Stray Dog im SFMoMA im Jahr 1999 erlangte er große internationale Anerkennung. Außerdem erhielt er zahlreiche Preise, darunter den der Hasselblad-Stiftung (2018).

Das Instituto Moreira Salles (IMS) ist eine brasilianische non-profit Kunstinstitution mit Standorten in São Paulo, Rio de Janeiro und Poços de Caldas. Das IMS wurde 1992 gegründet und verfügt über bedeutende Sammlungen in den Bereichen bildende Kunst, Fotografie, Musik, Literatur sowie Druckgrafik und Zeichnungen. Es ist bekannt für seine Ausstellungen, in denen Künstler:innen und Themen aus Brasilien und dem Ausland präsentiert werden. Das IMS veröffentlicht auch Ausstellungskataloge und Bücher über Fotografie, Literatur und Musik sowie die Zeitschriften ZUM, die sich der zeitgenössischen Fotografie in Brasilien und weltweit widmet, sowie serrote, eine vierteljährliche Publikation mit Essays und Ideen.

C/O Berlin Asks
Interview
Johanna Schmidt und Sophia Greiff im ByteFM Studio © C/O Berlin Foundation

Kuratorin Sophia Greiff zu Gast bei ByteFM. Gemeinsam mit der Moderatorin Johanna Schmidt spricht sie über das Foto als Medium, Street Photography und Daido Moriyamas besondere Arbeitsweise und Werk.

Das Fotobuch-Quartett

Anlässlich der Retrospektive fand das Fotobuch-Quartett erstmalig bei C/O Berlin statt: Frank Dürrach, Bettina Lockemann, Katja Stuke und Damian Zimmermann sprechen ausschließlich über japanische Fotobücher, ihre Besonderheiten und den Stellenwert in der japanischen wie westlichen Kultur.

 

Organisiert von
In Zusammenarbeit mit
Ermöglicht durch
Medienpartner